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Trude Teige: 7 Bände mit Kajsa Coren (2009-2022)

Standort: Onleihe

Bildquelle: Buchhandel

Die norwegische Schriftstellerin Trude Teige steht seit einigen Wochen auf der Spiegel Bestseller-Liste wegen ihrer beiden Romane, die während der deutsche Besetzung Norwegens im Zweiten Weltkrieg spielen und die Beziehungen zwischen norwegischen Frauen und deutschen Soldaten und der Umgang mit deren Kindern in der Nachkriegszeit thematisieren („Als Großmutter im Regen tanzte“ und „Und Großvater atmete mit den Wellen“). Diesem Thema wird seit einigen Jahren in Norwegen vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt und die Vergangenheit zumindest dahingehend aufgearbeitet, dass sich die norwegische Regierung mehr als 70 Jahre nach Kriegsende offiziell bei den Betroffenen entschuldigt hat.

Beide Bücher sind lesenswert und in der Gemeindebücherei Aying vorhanden, der erste Band auch als eBook und Hörbuch in der Onleihe.

 

Spannend und unterhaltsam finde ich allerdings auch die Krimi-Reihe um die Journalistin Kajsa Coren, mit bis jetzt sieben Bänden, die alle in der Onleihe zu finden sind:

 

  1. Der Junge, der Rache schwor
  2. Das Haus, in dem das Böse wohnt
  3. Totensommer
  4. Das Mädchen, das schwieg
  5. Die Frau, die verschwand
  6. Der Mann, der nicht vergessen konnte
  7. Das Haus der Lügen

 

Die Fälle sind alle in sich abgeschlossen, allerdings spielt das Privatleben der Journalistin immer wieder eine wichtige Rolle, und deshalb ist es besser, die Bände in der richtigen Reihenfolge zu lesen. Die Krimis sind spannend, aber nicht düster und mit grausamen Einzelheiten „ausgeschmückt“, wie man es manchmal gerade bei skandinavischen Autor:innen findet. Thematisiert werden aktuelle gesellschaftliche Themen wie Missbrauch, Gewalt in Familien oder Heimen, Rassismus, oder auch persönliche Tragödien, die meist ihren Ursprung in der Vergangenheit haben und in der Gegenwart zu Gewalt führen.

Martin Suter: Melody (2023)
Standort: Bücherei, Onleihe

 

Quelle Buchhandel

Auch der neue Roman von Martin Suter spielt wieder in der Welt der Schweizer Super-Reichen, der Protagonist Dr. Stotz reiht sich nahtlos ein in die aus früheren Erzählungen bekannten Figuren Johann Friedrich von Allmen oder Adrian Weynfeld.

Der 84-jährige Multimillionär Dr. Stotz, „ein Mann, an dem man in Wirtschaft und Politik nicht vorbeikam“, möchte am Ende seines Lebens sein Vermächtnis regeln und zwar in dem Sinn, dass er noch zu Lebzeiten entscheidet, wie er in den Augen der Nachwelt gesehen wird. Sein Leben soll nicht umgeschrieben, aber zumindest beschönigt werden. Er erteilt einem langjährigen Jurastudenten mit Geldnot den Auftrag, alle Unterlagen seines Lebens zu sichten und zu entscheiden, was behalten und was vernichtet werden soll. „Nimm die Fakten, die für mich sprechen. Und die Fiktion, die nicht leicht widerlegbar ist.“ Der Rest geht in den Schredder.

Tom wird also zum „Biograf“, wobei er immer mehr zum abhängigen, bezahlten Zuhörer degradiert wird. Bald erzählt Stotz ihm die wichtigste Geschichte seines Lebens, die Liebe zu der viel jüngeren Melody, Tochter armer marokkanischer Einwanderer. Auch in dem Verhältnis zu Melody verhält sich Stotz eher gönnerhaft und herablassend, was ihn in meinen Augen nicht unbedingt sympathisch macht. Abend für Abend erzählt er Tom, wie sich ihre Beziehung entwickelt, von der langen Verlobungsphase, dem missglückten Kennenlern-Versuch mit ihrer Familie bis hin zu ihrem plötzlichen Verschwinden kurz vor der geplanten Hochzeit und Stotz‘ lebenslangen Versuchen sie zu finden. Ist sie tot? Ist sie untergetaucht, vielleicht sogar mit einem jüngeren Mann?

Plötzlich stirbt Dr. Stotz und Tom wird testamentarisch zum Nachlass-Verwalter bestimmt. Zusammen mit der Nichte seines ehemaligen Arbeitgebers macht er sich nun auf, das Geheimnis um Meldodys Verschwinden zu klären.

Der Roman ist ein typischer Suter, wer Allmen mag, mag vermutlich auch „Melody“. Die Geschichte um die junge Marokkanerin wird in den abendlichen Kamingesprächen spannend weiterentwickelt, auch die Charaktere der einzelnen Personen, die von Stotz abhängig sind. Leider ist das Ende etwas banal, was dem ganzen am Ende dann doch einen kleinwenig faden Nachgeschmack gibt. Trotzdem eine unterhaltsame Lektüre.


 

Jocelyne Saucier: Ein Leben mehr (2015)

Standort: Onleihe

Bildquelle: Buchhandel

Drei alte Männer jenseits der 80 haben sich in die kanadische Wälder zurückgezogen, um in absoluter Freiheit und Selbstbestimmung zu leben. Sie nehmen dafür das einfache Leben und die Mühsal des Alltags in der Wildnis gerne in Kauf, Angst haben sie nach eigener Aussage nur „vor den Sozialarbeiterinnen dieser Welt“. Für die restliche Welt sind sie schon vor Jahren gestorben und bis auf Bruno, der ihnen hin und wieder Lebensmittel bringt, weiß keiner mehr von ihrer Existenz.

 

Dies ändert sich eines Tages, als eine Fotografin in ihrem Lager auftaucht auf der Suche nach einem der verschwundenen Männer. Dieser Ted Boychuck war ein Überlebender der großen Waldbrände des Jahres 1916, eine nationale Legende, „der Junge, der durch die rauchenden Trümmer irrte“, und sie erhofft von ihm ein Interview und Fotos für eine Geschichte.

Kurze Zeit später bringt auch noch Bruno seine 80-jährige Tante Marie-Desneige vorbei, die er aus einer psychiatrischen Klinik, in der sie 60 Jahre lang eingesperrt war, „entführt“ hat. Während die Fotografin immer nur für kurze Stippvisiten in das Lager kommt, bleibt Marie-Desneige zwangsläufig für immer und bringt das Leben der Männer, so wie sie es seit Jahren gewohnt waren, völlig durcheinander.

 

In elf Kapiteln wird die Geschichte der drei Männer erzählt, jeweils aus der Perspektive eines Beteiligten. Dazwischen sind Kommentare einer auktorialen Erzählstimme eingeschoben, die dem Roman den Charakter eines Theaterstücks verleihen. Dies macht den Aufbau aus meiner Sicht sehr interessant zu lesen.

 

Die Figur der Marie-Desneige basiert auf einer realen Person. In einem Interview kurz nach der Veröffentlichung des Romans erzählte Jocelyne Saucier, dass sie eine Tante namens Marie-Ange hatte, die im Alter von 16 Jahren in eine psychiatrische Klinik kam. Die Autorin besuchte Marie-Ange und fand sie in einem kleinen Zimmer vor, das sie seit 30 Jahre mit einer Frau teilte, die geistig zurückgeblieben war, während sie selbst völlig klar im Kopf war. Sie war sehr wütend, weil sie wusste, dass ihr das Leben gestohlen worden war. Jocelyne Saucier erzählte ihrer Tante, dass sie und ihre Geschichte in einer Erzählung eine wichtige Rolle spielen und sie ihr das Buch widmen würde. So würde man wissen, dass sie gelebt hatte.

Ulf Kvensler: Der Ausflug - Nur einer kehrt zurück (2024)

Standort: Belletristik Kve

Bildquelle: Buchhandel

 

Die Handlung klingt auf den ersten Blick nicht nach etwas wirklich Neuem: eine Gruppe bricht zu einer Wanderung in die Wildnis auf, es passiert etwas Unvorhergesehenes bzw. die Gruppendynamik ändert sich und am Ende wird aus dem harmlosen Ausflug ein Kampf ums Überleben, sei es gegen die Natur, die Mitreisenden oder beides.

Solche Romane gibt es von verschiedenen Autoren oder Autorinnen und meist unterscheiden sie sich vor allem durch die Gegend, in der sie spielen. Ich kenne vergleichbare Themen aus Kanada, USA.... dieser Thriller spielt in Nordschweden. Ich kann nicht einmal genau sagen, was diese Erzählung von vielen anderen abhebt, was sie in meinen Augen zu einer über das übliche hinausgehenden macht. Vielleicht liegt es daran, dass man bis Seite 372 eine feste Vorstellung davon hat, was warum passiert sein muss. Bis dahin ist alles schlüssig und logisch. Dann kommen allerdings langsam Zweifel auf, als eine andere Person ihre Sicht der Dinge erzählt. Man fragt sich, wer nun recht hat. Bis dahin waren Gut und Böse klar verteilt, nun werden Gewissheiten in Frage gestellt. Sind alle wirklich diejenigen, die sie vorgeben zu sein? Und ist das, was sie wahrnehmen, auch wirklich die Realität? Durch Perspektivwechsel und Rückblicke stellt sich auf einmal ein ganz anderes Bild dar, aber ist das dann auch das richtige?

 

Der Autor sagt in einem Interview dazu: „Die Idee zu „Der Ausflug“ kam mir als ich mit einer Gruppe von Freunden im Norden Schwedens wanderte. Wir kannten uns alle gut, waren eine eingeschworene Gruppe. Ich stellte mir vor, was passieren könnte wenn jemand dazustoßen würde, den niemand wirklich kennt. Da man 24 Stunden am Tag so nah beieinander ist, wäre das sehr schwierig. Und mir wurde klar, dass es geradezu gefährlich werden könnte, wenn man die Eigenschaften dieser Person ein wenig aufdrehte!“

 

Ein weiteres Buch, das zu diesem Thema passt und mir auch gut gefallen hat (es läuft unter dem Begriff „all age“ und kann als Jugendbuch oder Roman durchgehen) ist: „Acht Wölfe“ von Ulla Scheler (2023). Auch dieses Buch ist in der Bücherei vorhanden.

Andrea Maria Schenkel: „Finsterau“ (2012)

Standort: Onleihe

Bildquelle: Buchhandel

Zugegeben, der Roman ist schon seit über 10 Jahren auf dem Markt, aber entdeckt habe ich ihn erst jetzt in der Onleihe.

Der Krimi der Schriftstellerin erinnert vom Titel, Inhalt und Erzählweise her sehr an „Tannöd“, aber da dieser damals sehr erfolgreiche „true crime“-Krimi schon so alt ist, stört es nicht weiter, wenn man „Tannöd“ gelesen hat.

Auch „Finsterau“ beruht auf einem wahren Verbrechen, einem brutalen Zweifachmord im Bayerischen Wald vor über 70 Jahren. Erzählt wird das entbehrungsreiche Leben der Häusler-Familie Zauner in Form von Rückblenden und Zeugenaussagen aus der Perspektive aller beteiligter Personen; eine Geschichte aus Armut, Engstirnigkeit, Bigotterie und Vorurteilen, die 1947 in ein furchtbares Verbrechen mündet.

Afra, das einzige Kind des Tagelöhner-Ehepaars Johann und Theres Zauner, kommt am Ende des Zweiten Weltkriegs hochschwanger mit einem Sohn, der das Ergebnis einer Liebesbeziehung zu einem französischen Kriegsgefangenen ist, notgedrungen wieder zu ihren Eltern zurück. Während die Mutter noch versucht, mit der Situation zurechtzukommen, macht der Vater Afra immer wieder Vorwürfe, er kann das uneheliche Kind und ihre „liederliche“ Lebenseinstellung nicht akzeptieren. Eines Tages werden Afra und ihr zweijähriger Sohn Albert erschlagen im Haus aufgefunden, der Vater sitzt neben den Leichen, scheinbar völlig ungerührt. Vor der Polizei gesteht er zunächst das Verbrechen, widerruft es später allerdings. Wegen seines seltsamen Verhaltens und den allgemein vorherrschenden Vorurteilen, gepaart mit oberflächlicher Ermittlungsarbeit, wird er wegen zweifachen Mordes verurteilt und in eine Anstalt eingewiesen. Erst 18 Jahre später kommt allmählich der wahre Tathergang ans Tageslicht.

 

Johann

Er fing an, daran zu zweifeln ob es richtig gewesen war zu heiraten, weil sie doch - wenn auch über viele Ecken - blutsverwandt waren. Als sie beide schon nicht mehr daran glaubten, dass Gott ihnen ein Kind schenken würde, kam Afra zur Welt. Und nun schien es, als wollte der Herr sie vom ersten Tag an mit diesem Kind einer Prüfung unterziehen. Afra hatte ihren eigenen Kopf, sie sagte die Unwahrheit, log selbst dann noch, wenn er sie dabei erwischte. Sie machte ihm nur Sorgen. Poussierte schon früh mit den Burschen aus der Nachbarschaft. Er verprügelte sie, wollte sie auf den richtigen Weg zwingen. Sie kümmerte sich nicht darum, schüttelte sich wie ein nasser Hund, und er hatte Theres in Verdacht, dass sie sie hinter seinem Rücken tröstete. Gleich nachdem Afra mit der Schule fertig war, ging sie weg. Nur ganz selten kam sie nach Hause. Und wenn, blieb sie nicht lang. Aber sie hätte auch gar nicht im Haus bleiben können. Sie hatten nichts, es reichte gerade zum Leben.

 

Der Krimi ist, wie man es von Andrea Maria Schenkels vorherigen Werken gewohnt ist, mit 98 Seiten sehr kurz. Vieles bleibt der Fantasie überlassen, die elende Situation der Familie im dörflichen Umfeld, die von Religiosität, Armut und Resignation geprägt ist, wird dennoch deutlich. Leider ist der Schluss ein wenig kurz, hier hätte das Buch durchaus noch 20 Seiten mehr vertragen. Trotzdem ein aus meiner Sicht eindrucksvolles und unbedingt lesenswertes Werk.

Frank Goldammer: „In Zeiten des Verbrechens“ (2023), die Vorgeschichte zur Serie „Kriminalinspektor Max Heller“

Standort: Onleihe als eBook 

Bildquelle: Buchhandel

„In Zeiten des Verbrechens“ ist der chronologische Beginn einer Serie von acht Kriminalromanen um Kommissar Max Heller, die alle in Dresden spielen. Der erste Band, der als letzter erschien, aber den Beginn der Geschichte erzählt - sozusagen „Wie alles begann...“ - spielt im Jahr 1917: Der 21-jährige Max Heller kommt verwundet aus dem Ersten Weltkrieg zurück in seine Heimatstadt Dresden und versucht nun, im Alltag wieder Fuß zu fassen und seinem Leben ein Richtung und eine Aufgabe zu geben. Schwankend zwischen dem schnellen Geld als Krimineller und seinem Gerechtigkeitssinn entscheidet er sich schließlich für eine Laufbahn bei der Dresdener Polizei. In diesem Buch geht es hauptsächlich um den Werdegang von Max Heller und sein Privatleben, weniger um einen Kriminalfall, wie in den folgenden Bänden.

 

...Heller riss sich zusammen. Zwanzig Schritte noch, dann war er daheim. Dann würde er ein Bett haben, eine Badewanne, warme Mahlzeiten, vertraute Stimmen.

Aber würden sie wirklich vertraut sein? Was, wenn er gar nicht willkommen war? Abgeschrieben? Wenn sie längst akzeptiert hatten, was die Itzig nicht wahrhaben wollte?

Sei nicht feige, mahnte Heller sich. So viel hast du ausgestanden, sei nicht feige. Dem Tod hast du ins Angesicht gesehen. Natürlich würden sie ihn willkommen heißen.

Heller holte Luft und machte die letzten Schritte. Er streckte seine Hand nach der Ladentür aus. Doch in diesem Moment öffnete sie sich bereits, das Glöckchen darüber läutete, und seine Mutter trat ihm entgegen, eine schmale Holzsteige mit Äpfeln unter einem Arm.

„Gehen Sie nur schon rein“, sagte sie. „Bin gleich zurück! Zigaretten sind aber gerade aus!“

Heller erstarrte. Wie eine Schaufensterpuppe drehte er sich auf der Stelle und folgte ihrer Bewegung. Er sagte nichts und rührte sich nicht. Und auch sie erstarrte jetzt vor dem Schaufenster. Die Holzsteige fiel zu Boden, die Äpfel hüpften heraus und rollten vom Bordstein auf die gepflasterte Straße.

„Lieber Herrgott im Himmel ...“, stöhnte die Mutter.

„Ich bin wieder zurück“, flüsterte Max Heller so leise, dass er nicht wusste, ob seine Stimme ihre Ohren überhaupt erreichte. Er fühlte sich elend. Sie hatten ihn nicht erwartet. sie hatten ihn für tot gehalten. [...] Es ist alles gut, wollte er sagen, gräm dich nicht, es verletzt mich nicht. Doch er konnte es nicht sagen. Denn natürlich hatte es ihn verletzt ein klein wenig nur, aber das war nicht ihre Schuld. Jetzt erst, in diesem schmerzhaften Augenblick verstand er, was der Krieg wirklich anrichtete. Er brachte nicht nur Elend, Krankheit und Sterben. Er sorgte nicht nur dafür, dass man seinem Leben nicht mehr traute, dass man keine Freundschaften mehr schloss, weil jeden Augenblick der Tod drohte. Er sorgte auch dafür, dass man die Seinigen nicht mehr erkannte....

 

Die Serie gefällt mir deshalb so gut, weil die Romane von Frank Goldammer nicht einfach nur interessante und gut geschriebene Kriminalfälle sind, sondern auch weil sie den Leser in eine spannende Zeit deutscher Geschichte voller Umbrüche entführen.

Die weiteren Bände der Serie beginnen 1944 („Der Angstmann“) während der letzten Tage des Zweiten Weltkriegs und enden 1961 mit dem Bau der Berliner Mauer.

 

Chronologische Reihenfolge der Fälle um Max Heller:

Der Angstmann (1944)

Tausend Teufel (1947)

Vergessene Seelen (1948)

Roter Raben (1951)

Juni 53 (1953)

Verlorene Engel (1956)

Feind des Volkes (1961)

 

Alle Bände sind als eBooks in der Onleihe verfügbar, manche auch als Hörbuch.

Frank Goldammer hat auch weitere gute Kriminalromane geschrieben, die zum Teil in der Bücherei vorhanden sind, z. B. die Serie um Felix Bruch.

 

 

Pierre Martin: "Monsieur le Comte und die Kunst des Tötens" (2022)

Standort: Onleihe als eBook und Hörbuch

Bücherei Belletristik: Mar

 

Foto: Buchhandel

 

Der Autor Pierre Martin ist vielen Lesern und Leserinnen durch die Krimiserie um "Madame le Commissaire", die in Südfrankreich spielt, bekannt. Letztes Jahr hat er nun mit "Monsieur le Comte und die Kunst des Tötens" eine neue Serie begonnen. 

Hauptfigur ist Lucien Comte de Chacarasse, aus einem alten, stolzen französischen Adelsgeschlecht stammend, der seinem Vater an dessen Sterbebett das Versprechen gibt, die alte Familientradition und das "Geschäft" weiterzuführen. Leider besteht das Geschäft darin, professionell Auftragsmorde zu begehen. Lucien ist zwar in dieser Tradition erzogen worden und hat von Kindheit an die nötigen Fähigkeiten trainiert, ist aber eher bequem, liebt sein sorgloses, unbeschwertes Leben, Frauen, gutes Essen und sein Bistro in der Provence. Menschen gegen Bezahlung zu töten widerstrebt ihm zu tiefst.

In seiner Familie hat dafür allerdings niemand Verständnis, weil alle gut von dem so verdienten Geld leben. Es dauert also nicht lange, bis ihm sein Onkel den ersten Auftrag verschafft. Nun muss Lucien das Unmögliche versuchen: das seinem Vater gegebene Versprechen zu erfüllen, seinen Onkel und dessen Auftraggeber zufriedenzustellen und gleichzeitig niemandem Schaden zuzufügen.

"Das brachte ihn zu einer fast schon philosophischen Frage: Inwieweit bestimmte der Mensch sein eigenes Schicksal? War er Herr seines Handelns? Oder war diese Vorstellung eine Illusion? Luciens Bekommenheit rührte daher, dass er sich vorkam wie eine Marionette die an den Fäden einens Puppenspielers hing - und der Puppenspieler war sein Vater. (...) Lucien massierte sich die Schläfen. Er machte es sich gerade zu einfach, dachte er. Er war keine Marionette. Er konnte sich nicht aus der Verantwortung stehlen und die Schuld auf seinen toten Vater abwälzen. Welche Schuld? Das war die entscheidende Frage. Um die ging es. Einzig und allein. Wenn jeder Herr seines eigenen Handelns war, dann galt das auch für Didier Pascal. (...) Die Schlussfolgerung lag auf der Hand. Weil es kein anderer tat, erteilte sich Lucien nach reiflicher Überlegung selbst die Absolution."

 

Fazit: Ich finde es ein sehr unterhaltsames Buch mit einem witzigen Plot, leicht und lustig, genau das Richtige für einen gemütlichen Urlaubstag, Feierabend.... Allzuviel Tiefgang darf man nicht erwarten, aber man wird beim Lesen gut unterhalten. Und manchmal braucht man auch nicht mehr. Der zweite Teil kommt im Oktober 2023 in den Buchhandel.

 

Bernd Schroeder: „Fast am Ende der Welt“ (2021)

Standort: Bücherei Belletristik: Schr

 

Bildquelle: Amazon

Die Geschichte ist eigentlich schnell zusammengefasst: zwei Männer treffen sich zufällig in einer Münchner Wirtschaft, sie kommen miteinander ins Gespräch und beiden wird klar, dass sie denselben Traum haben: auszusteigen aus dem bekannten Alltagstrott, ein einfaches Leben fern von der Stadt zu führen und als Selbstversorger auf einem Bauernhof mit vielen Tieren und einem Gemüsegarten zu leben.

Der eine, Josef Peukert, hat jahrzehntelang als Verkäufer bei EISEN-KNAPP gearbeitet und geht nun in Rente. Sein bisheriges Leben bestand nur aus der Arbeit und regelmäßigen Besuchen im Wirtshaus. Am Wochenende ist er mit der S-Bahn an die Endstationen gefahren um zu wandern. Familie hat er keine.

Der andere, Attila Bauer, hatte Möbelschreiner gelernt und sich mit einer Antiquitätenhandlung in die Schickeria Münchens hochgearbeitet. Als er wegen eines unsauberen Geschäfts bei seinen reichen Kunden in Verruf gerät und seine Geschäfte nur noch schlecht laufen, beschließt er, ab sofort nur noch von seinem erarbeiteten Vermögen zu leben. Auch er lebt nach einer gescheiterten Ehe seit Jahren alleine.

 

Zwei Männer, die unterschiedlicher nicht sein können, aber eine gemeinsame Vision haben. Zusammen machen sie sich im bayerischen Hinterland auf die Suche nach einem geeigneten Ort, um sich ihre Sehnsucht nach dem einfachen Leben „fast am Ende der Welt“ zu erfüllen.

 

„Jetzt, am Abend, da sie gesehen haben und wissen, was sie nicht wollen, wissen sie, was sie wollen und dass sie eventuell Gemeinsames wollen. Euphorisch vom Alkohol und einem zunehmend vertrauten Umgang beflügelt, basteln sie sich das Ideal zurecht. Einsam muss es sein, einen schönen Blick muss es bieten, groß genug muss es sein, um den gemeinsamen und den Bedürfnissen des Einzelnen gerecht zu werden. Unverbaubar muss es sein, bewohnbar und eventuell restaurierbar, kurz und gut: Das Paradies soll es sein. Haben sie nicht, verdammt noch einmal, Anspruch darauf?“

 

Attila ist bei diesem Projekt die treibende Kraft, voller Ideen und Energie, Josef eher zögerlich.

„Wenn er dann in seiner Wohnung sitzt, ein Sessel, eine Anrichte, der Fernseher, ein Regal, das Schlafzimmer, Nachtkästchen, Schrank und das Bett, in dem er bis zu ihrem Tod mit der Mutter geschlafen hat, dann denkt er, es muss sich doch was ändern, das kann es nicht für den Rest des Lebens sein. Und wenn er den Tag verbringt, indem er ziellos durch die Stadt streift, die immer lauter wird, die nicht mehr seine Stadt ist, sie vielleicht sogar nie war, dann überwältigt ihn das Gefühl: Es kann sich etwas ändern in diesem Leben, das so eintönig war, sich zwischen der Mutter und EISEN-KNAPP abgespielt hat. [...] Er wird immer bereiter, der Sehnsucht nachzugeben, und er wird immer vertrauter mit dem Gedanken, mit Attila den gemeinsamen Traum zu verwirklichen. Er hat sich nie einem Menschen wirklich anvertraut, hatte keine Freunde, war ein Einzelgänger, blühte nur im Brauhaus auf in Gesprächen mit Fremden und Stammgästen, was sich außerhalb des Brauhauses nie vertiefte, in seinem Leben keinen Platz hatte. Nun ist er bereit, sich auf einen Menschen, der so ganz anders ist, einzulassen, vielleicht auch, weil der so anders ist, so positiv, so zupackend, so überzeugend.“

 

Bernd Schroeder erzählt diese Geschichte von Freundschaft, Alter und dem Mut, noch einmal ganz von vorne anzufangen, in einer wunderbaren Sprache mit viel Münchner und bayerischem Lokalkolorit.

Heiko Wernig, Ulrike Sterblich: Von Okapi, Scharnierschildkröte und Schnilch. Ein prekäres Bestiarium (2022)

Standort: Onleihe

50 Kapitel, knapp 50 mehr oder weniger bekannte Tierarten, die alle vom Aussterben bedroht oder schon ganz verschwunden sind. Was auf den ersten Blick frustrierend klingt und nach einem weiteren belehrend-trockenen Werk zum Thema Artensterben, entpuppt sich trotz des ernsten Inhalts als unterhaltsames Buch mit vielen erstaunlichen Besonderheiten und Kuriositäten von Tieren, die wahrscheinlich nicht allen unbedingt geläufig sind. Die Autoren schaffen es immer wieder, den Lesenden zum Staunen zu bringen und Sympathie zu wecken für seltsame Kreaturen wie den Baumhummer, das Pustelschwein, die Portula-Schnecke oder den Pátzcuaro-Querzahnmolch. Daniela Schmidt von NDR Wissen hat es treffend ausgedrückt: „[Das Buch] liest sich wie eine Art „Sendung mit der Maus“ oder „Löwenzahn“ für Erwachsene und bietet auf jeder Seite Anlass zu freudigen „Das hab‘ ich noch nicht gewusst“- oder amüsierten „Wie skurril ist das denn?“-Momenten.“ Bewusst werden nicht nur bereits ausgestorbene Arten vorgestellt, sondern auch weltweite Erfolgsgeschichten, die Mut machen und zeigen, dass es für viele Tiere noch nicht zu spät ist.

 

Heiko Wernig ist Reptilienforscher und Gründer verschiedener zoologischer Fachzeitschriften, Ulrike Sterblich ist Politologin und Journalistin. Beide engagieren sich im Projekt „Citizen Conservation“. Dieses Projekt, gegründet 2018, vernetzt Organisationen, Vereine und Privatleute, die sich um Tierschutz, Nachzucht und Arterhaltung kümmern und unterstützt sie fachlich. Dadurch soll mithilfe von Privatleuten weltweit eine ausreichend große Population der bedrohten Art erhalten werden, die ggf. den Grundstock einer späteren Wiederaussiedlung bildet, wenn der natürliche Lebensraum gerettet werden konnte, oder zumindest die genetische Vielfalt erhält. Ein weiteres Ziel ist es, auch für „wenig niedliche“ Arten eine öffentliche Bühne zu bilden um auch für sie Interesse zu wecken.

 

„Von Okapi, Scharnierschildkröte und Schnilch“ ist 2022 zum „Wissensbuch des Jahres – Unterhaltung, das spannendste Buch“ gewählt worden.

 

Auszug aus dem Kapitel: Der Waldrapp

„Über Geschmack lässt sich ja bekanntlich streiten, aber nicht in diesem Fall: Ein Vogel mit nacktem, faltig-runzligem Kopf, langem, sichelförmigem, eher an einen verdorrten Knochen erinnerndem Schnabel und einer Punk-Frisur aus wild in alle Richtungen abstehenden schwarzen Federn, die ihn aussehen lassen, als wäre er gerade Opfer einer heftigen Explosion geworden oder habe einen Stromschlag erlitten – wem beim Anblick eines Waldrapps nicht umgehend das Herz aufgeht, der hat vermutlich keines. Oder ist Katzenliebhaber. ...

In Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern war der Waldrapp ausgerottet, nur einige kleine Kolonien, etwa in Marokko und der Türkei, haben sich bis in unsere Tage retten können. Mit zwischenzeitlich nur noch um die 500 freilebenden Tieren gehört der Waldrapp zu den seltensten Vögeln der Welt.

Doch inzwischen gibt es wieder Hoffnung. In Zoos und Tierparks wurden Waldrappe erfolgreich gehalten, und rund 2000 Tiere konnten bereits nachgezüchtet werden. Genug, um neue Kolonien in freier Natur zu gründen, auch in Deutschland und Österreich.

Das einzige Problem dabei: Der Waldrapp ist ein Zugvogel. Aber er hat keinen blassen Schimmer, wo er eigentlich hinziehen soll. Tragisch – der Drang, sich im Winter in den Süden abzusetzen, ist ihm angeboren. Er weiß nur nicht, wo um Himmels willen Süden sein soll. Tatsächlich lernen Waldrappe die Zugroute und das Ziel der Reise von ihren Eltern. Da es aber keine Eltern mehr gibt, die den Weg noch kennen, könnten sie also nie wieder geeignete Winterquartiere neu für sich erschließen – wenn sich hier der Mensch nicht einmal von seiner sympathischeren Seite zeigen würde: Beherzte Tierpflegerinnen und Tierpfleger ziehen die Küken per Hand auf. Die Kleinen sind ganz verrückt nach ihren Pflegeeltern, sie erkennen sie genau – ob Vogel oder Mensch ist ihnen ganz egal, Hauptsache ›Mama‹ oder ›Papa‹ sind für sie da. Nur ihnen folgen und vertrauen sie. Man nennt so etwas Prägung. Wenn die Jungen dann flügge geworden sind und im Herbst der erste Abflug ansteht, müssen die Eltern also nur noch vorausfliegen und den Adoptivkindern den Weg zum hübschen Winterquartier zeigen.

Nun sind Menschen flugtechnisch eindeutig unterbegabt, und einem normalen Flugzeug kann ein Waldrapp nicht folgen, außerdem brauchen die Jungen auch in der Luft den persönlichen Kontakt zu den Eltern. Die starten deshalb mit Ultraleichtfliegern, also praktisch motorisierten, offenen Dreirädern, die an einem Drachen baumeln. So fliegen die Pflegeeltern voraus, und die jungen Waldrappe folgen ihnen brav. Unterwegs in der Luft müssen sie immer mal wieder per persönlicher Ansprache motiviert werden, nicht schlapp zu machen, aber am Ende kommt die seltsame Mensch-Vogel-Patchwork-Familie im warmen Süden an, und ab da wissen die Kids Bescheid, wie der Hase läuft beziehungsweise wie der Waldrapp fliegt. Den Rückweg im nächsten Frühjahr finden sie bereits selbstständig, und spätestens dann sind sie sozusagen amtlich beglaubigte Zugvögel.

Ein spektakulärer Erfolg für ein außergewöhnliches Projekt. Erst vor gut 15 Jahren haben die Artenschützer mit den ersten Versuchen dieser abenteuerlichen Reise begonnen, aber nun ziehen nach 350 Jahren Pause wieder Waldrappe regelmäßig über die Alpen.“

Benjamin Myers: „Offene See“ (2021)

Standort: Bücherei Belletristik Mye

Der Inhalt des Romans des englischen Lyrikers Myers klingt einfach und ist schnell erzählt: Durham im Nordosten Englands im Frühjahr 1946: Der 16jährige Robert Appleyard hat gerade seine Schullaufbahn beendet und soll nun wie alle Männer seiner Familie im Kohlebergwerk Geld verdienen. Um noch ein letztes Mal seine Freiheit zu genießen, macht er sich zu Fuß auf den Weg, um einmal im Leben das Meer zu sehen.

 

„Es gab Jungen, mit denen ich aufgewachsen war, die bereits zwei oder drei Jahre unter Tage arbeiteten, doch für jemanden, der frische Luft und Einsamkeit so sehr liebte wie ich, war gerade die Erwartungshaltung, dass ich ebenso meinem Vater in den Schacht folgen würde, wie er seinem Vater in den Schacht gefolgt war, ein Grund dafür, dass ich jetzt über Englands Landstraßen zog. Es war ein Akt der Befreiung und der Rebellion.“ „Die Neuheit des Unbekannten war berauschend. Hier klang sogar alles anders, die leere Weite der Moore ein flüsternder Ort, frei von dem Dröhnen und Rattern des Bergarbeiterlebens. Je weiter ich mich von allem entfernte, was ich je gekannt hatte, desto leichter fühlte ich mich.“

 

An der Ostküste Englands begegnet er Dulcie Piper, einer älteren Frau, die in einem einsam gelegenen, verwilderten Cottage lebt. Bei Dulcie bleibt er entgegen seiner ursprünglichen Absichten eine Weile und hilft ihr mit kleineren Renovierungsarbeiten. Dulcie ist eine unkonventionelle, unabhängige Frau, die trotz der Not der Nachkriegszeit eine mit Delikatessen gefüllte Speisekammer hat, die einerseits raucht, Alkohol trinkt, Auto fährt und mit berühmten Künstlern ihrer Zeit Freundschaft pflegt, andererseits aber im Einklang mit der Natur lebt. Sie bringt ihm viel über die Natur und das Leben an sich bei. Dank Dulcie verändert sich Robert, er beginnt sich für Literatur und Geschichte zu interessieren und hinterfragt selbstverständliche Ansichten.

 

„Krieg ist Krieg: Er wird von wenigen angezettelt und von vielen geführt, und am Ende verlieren alle. […] Hör auf, die Deutschen zu hassen; die meisten sind genau wie du und ich.“

 

Aber auch Dulcie hat keine unbeschwerte Vergangenheit, sie ist oft melancholisch und als Robert die Hecke, die die Sicht zum Meer versperrt, roden will, schreitet sie vehement ein. Bei der Renovierung eines alten, verfallenen Nebengebäudes entdeckt Robert ein altes Manuskript. Dadurch kommt er ihrem Geheimnis näher und zwingt am Ende auch sie, sich ihrer Vergangenheit zu stellen und neu über die Zukunft nachzudenken.

 

„Offene See“ ist ein ruhiger Roman in einer wunderbar lyrischen Sprache (hier möchte ich auch einmal auf die wirklich gelungene Übersetzung aufmerksam machen), der in den Gesprächen der beiden Protagonisten Themen wie Freiheit, Selbstverwirklichung, Zukunftsängste und Hoffnungen, Liebe und Träume behandelt. Dabei bleibt er bis zum Ende optimistisch und hinterlässt beim Leser ein gutes Gefühl.

Micro Macro Crime City (2021)

Standort: Bücherei Spiele

 

Micro Macro Crime City ist ein kooperatives Spiel, das heißt alle Spieler lösen gemeinsam die 16 vorgegebenen Kriminalfälle, indem sie Motive ermitteln, Beweise finden und die Täter verfolgen und überführen. Ein aufmerksames Auge ist ebenso gefragt wie kreative Ideen, um auf dem 75 x 110 cm großen Spielplan in der Art eines riesigen schwarz-weißen Wimmelbilds alle Vorgänge zu enträtseln.

Jeder Fall erzählt die Geschichte eines Verbrechens (moderiert von den dazu gehörenden Karten), die auf dem Stadtplan der „Verbrecherstadt“ sowohl in die Zukunft als auch in die Vergangenheit erzählt wird. Von jedem Moment der Handlung kann man die beteiligten Personen zurückverfolgen oder schauen, was sie danach erleben. Sie machen harmlose Dinge wie Einkaufen, Mitmenschen treffen, essen gehen, sie erledigen aber auch zwielichtige Sachen. Kompliziert wird das Ganze dadurch, dass alle Fälle auf dem Plan durcheinander abgebildet sind und man schon sehr genau hinschauen muss, ob man noch die richtige Person verfolgt. Die ganze Stadt ist ein wildes Durcheinander von aneinandergereihten Momentaufnahmen aller 16 Handlungsstränge. Gerade die Geschichten mit höherem Schwierigkeitsgrad führen durch die ganze Stadt, zum Teil mit wechselnden Verkehrsmitteln, und erfordern Kreativität und um-die-Ecke-Denken. Das schöne an diesem Spiel ist aber, dass es fünf verschiedene Stufen für unterschiedliche Altersgruppen gibt. Die höheren Level machen durchaus viel Spaß für Erwachsene und bieten sich für eine gesellige Spiele-Runde an. Auch die Motive der Täter und die Zusammenhänge der Taten sind bei Stufe 4 und 5 eher für Erwachsene geeignet und nachvollziehbar. Es dreht sich eben nicht nur um harmlose Kinderstreiche, sondern auch um Auftragsmorde, Erpressung und Eifersucht. Gerade die coolen, überraschenden Wendungen machen das Spiel für Erwachsene interessant und unterhaltsam. Hinweise für Eltern bezüglich der Altersempfehlung findet man aber in der Anleitung. Die Zeichnungen sind immer harmlos und für Kinder durchaus geeignet.

Fazit: Ein unterhaltsames, kooperatives Spiel für mehrere Spieler ab 8 Jahre. Das Lösen der einzelnen Fälle dauert je nach Erfahrung ungefähr 15-30 Minuten. Micro Macro Crime City wurde 2021 zum „Spiel des Jahres“ gewählt und ist dieses Jahr in einer zweiten Version erschienen, die hoffentlich genauso gut ist. Wichtig ist eine gute Beleuchtung und ggf. eine bessere Lupe als die beigepackte.

 

Rumaan Alam: Inmitten der Nacht (2021)

Standort: Onleihe

 

Der Roman fängt recht unspektakulär mit dem Beginn eines Sommerurlaubs an: Amanda, Clay und ihre beiden Kinder Rose (13) und Archie (16), eine typische weiße New Yorker Mittelstandsfamilie, sind auf dem Weg in ihr angemietetes Ferienhaus, weit draußen in der Abgeschiedenheit auf Long Island. Dieses Jahr wollen sich die Eltern etwas Besonderes gönnen: Villa, Pool, Luxus pur. Doch schon am Abend des ersten Ferientags, „inmitten der Nacht“, wird diese Idylle gestört. G. H. und Ruth Washington, ein älteres schwarzes Ehepaar und die angeblichen Besitzern des Hauses, stehen plötzlich vor der Tür und bitten um Einlass. Ein großräumiger Stromausfall in Manhattan, über dessen Ursache zahlreiche Spekulationen in den Medien verbreitet werden (Terroranschlag, Hurrikane?), habe sie aus ihrer Stadtwohnung vertrieben. Das ganze Leben an der Ostküste sei lahmgelegt und so sind sie nun in ihr Ferienhaus nach Long Island geflohen. Besonders bei Amanda stellt sich allerdings eine starke Abwehrhaltung gepaart mit einer gehörigen Portion Rassismus ein. Aber auch das Ehepaar Washington hat Vorbehalte gegenüber der weißen Familie. Notgedrungen rauft man sich trotzdem zusammen und die Washingtons dürfen erst einmal bleiben.

Während der sechzehnjährige Archie und die dreizehnjährige Rose noch unbeschwert im Pool toben und den angrenzenden Wald erkunden, versuchen die Erwachsenen in Erfahrung zu bringen, was „draußen“ vor sich geht. Handyempfang gab es hier vorher schon nicht, aber nun sind auch Festnetz, Internet und der Fernsehanschluss tot. Abgeschnitten von jeder Informationsquelle suchen die beiden Familien vermeintlich logische Erklärungen, die vor allem der eigenen Beruhigung dienen. Strom ist hier ja noch vorhanden, die Lebensmittelvorräte sind gut gefüllt. So schlimm kann es also nicht werden. Mysteriös wird es allerdings, als riesige Gruppen von Rehen am Haus vorbeiziehen und ein Schwarm Flamingos im Pool landet. Obwohl der Autor immer wieder Andeutungen macht, bleibt die genaue Ursache und das Ausmaß der Katastrophe bis zum Schluss offen. Gab es eine Umweltkatastrophe? Einen Atomkrieg? Wie weit funktionieren Infrastruktur und staatliche Gewalt noch? Wie die Protagonisten bleibt der Leser im Ungewissen.

In einem ständigen Perspektivenwechsel erzählt Rumaan Alam aus der Sicht einer der sechs Personen, wie diese versucht, mit der Unsicherheit der Situation klarzukommen, wie sie logische Erklärungen für Unerklärliches sucht und die Angst durch „Normalität“ beherrschen möchte. Jeder entwickelt eigene Strategien, um mit einer Welt, die aus den Fugen gerät, irgendwie fertig zu werden.

„Inmitten der Nacht“ wurde in den USA und Deutschland ein Bestseller, stand auf der Shortlist des Booker Prize und auf Barack Obamas Liste der lesenswertesten Bücher 2021. Rumaan Alam baut in seinem Gesellschaftsroman eine ungeheure Spannung auf, konstruiert ein sich allmählich entwickelndes dystopisches Szenario, das aber durchaus glaubhaft ist und verbindet Themen wie Familienkonstellationen, Alltagsrassismus, Vorurteile und mögliche globale Katastrophen geschickt und intelligent auf nur rund 300 Seiten. Ein lesenswertes Buch, das in unsere heutige Zeit passt.

 

Tim Marshall: „Die Macht der Geographie im 21. Jahrhundert: 10 Karten erklären die Politik von heute und die Krisen der Zukunft“ (2021)

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„Seit jeher hat uns das Land, auf dem wir leben, geformt. Es hat die Kriege, die Macht, die Politik und die gesellschaftliche Entwicklung der Völker geformt, die mittlerweile nahezu jeden Teil der Erde bewohnen. Technologien überwinden scheinbar die mentalen wie räumlichen Entfernungen zwischen uns, sodass leicht vergessen wird, dass das Land, in dem wir leben, arbeiten und unsere Kinder aufziehen, höchst bedeutsam ist und dass die Entscheidungen derer, die 7,5 Milliarden Bewohner dieses Planeten führen, in gewissem Maße schon immer durch die Flüsse, Berge, Wüsten, Seen und Meere, die uns alle eingrenzen, geformt werden...

Allgemein gesagt: Geopolitik zeigt auf, wie internationale Angelegenheiten vor dem Hintergrund geographischer Faktoren zu verstehen sind. Dabei geht es nicht nur um die tatsächliche Landschaft – die natürlichen Barrieren durch Berge oder die Verbindungen durch Flusssysteme beispielsweise –, sondern auch um Klima, Demographie, Kulturregionen und den Zugang zu natürlichen Ressourcen.

(aus dem Vorwort von: Die Macht der Geographie)

Tim Marshall, geboren 1959, ist Politik-Redakteur beim britischen Nachrichtensender Sky News, und Experte für Außenpolitik. Er hat als Journalist aus über 30 Ländern berichtet, unter anderem über den Jugoslawienkrieg ebenso wie über Afghanistan, den Irak, Libanon und Israel. Marshall hat auch für die BBC gearbeitet und war lange als Korrespondent für Europa und den Nahen Osten tätig. „Die Macht der Geographie: Wie sich Weltpolitik anhand von 10 Karten erklären lässt“ erschien 2015, der Nachfolgeband „Die Macht der Geographie im 21. Jahrhundert“ im September 2021. Aus heutiger Sicht sehr interessant finde ich, dass er bereits 2015 ein Buch veröffentlicht hat mit dem Titel: „Prisoners of Geography: Read this now to understand the geopolitical context behind Putin‘s Russia and the Ukraine Crisis“

Im aktuellen Buch „Die Macht der Geographie im 21. Jahrhundert“, skizziert Marshal die geographischen Gegebenheiten in zehn ausgewählten Ländern und welche Entwicklungen dadurch fast zwangsläufig vorprogrammiert waren. Danach erläutert er, welche Konsequenzen sich daraus für die Zukunft des jeweiligen Landes, aber auch für die restliche Welt ergeben können und welche Chancen sich bieten bzw. Gefahren androhen. Die Mischung der Länder ist interessant, von Regionen, die man meint gut zu kennen (Großbritannien, Spanien, Griechenland) bis zu Gegenden, mit denen sich wahrscheinlich die wenigsten von uns näher befasst haben, weil sie scheinbar für den Rest der Welt nur von geringer Bedeutung sind (Äthiopien, Sahel). Er zeigt auf, dass sich viele Konflikte, von denen wir überrascht werden, eigentlich schon viel früher angedeutet haben, weil sie in der jeweiligen Geographie begründet liegen. Sehr interessant fand ich, dass er in diesem Buch auch kurz auf den Konflikt zwischen der Ukraine und Russland eingeht (sehr viel ausführlicher tut er dies in dem ersten Buch: Die Macht der Geographie) und vieles vorweg nimmt, was nur wenige Wochen nach dem Erscheinen des Buchs im September letzten Jahres dann auch tatsächlich eingetroffen ist. Einiges, was jetzt gerade in der Ukraine passiert, versteht man nach der Lektüre besser, wobei ich damit nicht sagen will, dass er dafür „Verständnis“ oder Akzeptanz wecken möchte. Man begreift als Leser einfach ein bisschen mehr, welche geostrategischen Überlegungen hinter dem Krieg in der Ukraine stecken mögen.

 

 

Louise Penny: Inspector Armand Gamache

 

Der erste Mordfall führt Armand Gamache, Chef der Mordkommission im kanadischen Montréal, in das kleine Dorf Three Pines mitten in den kanadischen Wäldern, wo jeder jeden kennt und die Dorfgemeinschaft vermeintlich noch intakt ist. Die Idylle wird plötzlich zerstört, als am Erntedankfest, einem leuchtend klaren Herbsttag, die Leiche von Jane Neal im Wald gefunden wird – getötet durch den Pfeil einer Armbrust. Es kann sich nur um einen Jagdunfall handeln, denn wer hätte einen Grund gehabt, die pensionierte Lehrerin umzubringen? Inspector Gamache muss die Sache aufklären, damit der Dorffrieden wiederhergestellt wird. Dabei findet er nicht nur den Mörder, sondern auch neue Freunde wie die Buchhändlerin Myrna, das Künstlerehepaar Clara und Peter, die unkonventionelle und preisgekrönte 80jährige Dichterin Ruth oder Gabri und Olivier, ein homosexuelles Paar, das ein Bistro im Dorf führt. Gamache schließt Three Pines und seine Bewohner bei seinen Ermittlungen so sehr ins Herz, dass es ihn in den nächsten Fällen immer wieder dorthin zieht und er schließlich sogar dort wohnen wird.

Es ist empfehlenswert, diese Serie in der richtigen Reihenfolge zu lesen, da die Autorin Louise Penny immer wieder Anspielungen auf vergangene Fälle oder Situationen macht, die der Leser sonst nicht versteht. Außerdem entwickelt sich das Privatleben von Gamache und seinem Partner Jean-Guy Beauvoir fortlaufend weiter, ein unterhaltsamer Nebenschauplatz der Krimis. Da die Anzahl der Bewohner in Three Pines, dem „Dorf mit den drei Zedern“, überschaubar ist, gibt die Anwesenheit bzw. das Fehlen einer Person in einem späteren Band auch Hinweise auf den möglichen Täter, wenn man danach einen früheren Band liest.

Die Romane sind keine Thriller, vielmehr Krimis im Stil von Agatha Christie oder Sherlock Holmes. Meist wird ein Aspekt der kanadischen Geschichte aufgegriffen, der Schwerpunkt bei den Ermittlungen liegt vor allem auf der Psychologie des Täters, dem „Warum ?“.

In der Bücherei sind Band 8 und 9 als Romane verfügbar, in der Onleihe sind die Fälle 1 bis 14 (12 fehlt noch) als eBook und Fall 1, 3 und 4 als Hörbuch vorhanden.

  1. Das Dorf in den roten Wäldern
  2. Tief eingeschneit
  3. Das verlassene Haus
  4. Lange Schatten
  5. Wenn die Blätter sich rot färben
  6. Heimliche Fährten
  7. Bei Sonnenaufgang
  8. Unter dem Ahorn
  9. Der vermisste Weihnachtsgast
  10. Wo die Spuren aufhören
  11. Totes Laub
  12. fehlt - noch nicht übersetzt
  13. Hinter den drei Kiefern
  14. Auf einem einsamen Weg